Nun ist´s vorbei mit derRuhe

Woche 4 – Arbeitsbeginn

Montag der 27.08: Es herrscht Stille im Innenhof der St. Joseph Secondary School. Die etwa 50, hier lernenden Schülerinnen und Schüler stehen in vier Reihen hintereinander auf der großen zentralen Freifläche, die von den Bungalows mit den Klassenzimmern umgeben ist. Alle schauen sie gebannt auf die Flagge, die Stück für Stück die große Fahnenstange hinaufklettert. Oben angekommen ergreift der Wind besitzt von ihr und lässt uns kurz einen klaren Blick auf das Massai-Schild mit den zwei gekreuzten Speeren auf schwarz-rot-grün-weiß gestreiftem Hintergrund werfen.

Im Anschluss wandert die Aufmerksamkeit dann zu dem Jungen, der sich aus der vordersten Reihe löst und vor die versammelte Schule tritt. Er beginnt den Morgenimpuls mit der Aufforderung jetzt die Hände zu falten, der die gesammelte Gruppe nahezu synchron folgt. Kurz darauf mischt sich das Gemurmel der Schüler zum fernen Kreischen der über der Szenerie Kreise ziehenden Vögel. Ein Vater Unser, ein Ave Maria werden gesammelt gesporchen, gefolgt von drei Fürbitten und einer kurzen Litanei. Dann wird es wieder still. Der Schuldirektor tritt vor, begrüßt alle Anwesenden zum Beginn des neuen Terms und appeliert an das Bewusstsein der Schüler, dass es für einige nun in die letzte, heiße Phase geht. Die finalen Examen stünden in den nächsten Monaten an und da wolle man doch bitte gut vorbereitet und gewissenhaft an seine Aufgaben herangehen. Er fährt fort mit einigen Ankündigungen, was Stundenplan und außerschulische Aktivitäten angeht und während ich noch mit mir ringe, ob es in der Situation unangebracht wäre ein Foto mit meinem Handy aufzunehmen werde ich vor die Versammlung gebeten um mich vorzustellen. Völlig perplex gebe ich an, dass mein Name Christ ist, was ein amüsiertes Raunen auslöst. Nachdem ich angefügt habe, dass es sich bei mir natürlich nicht um den Messias handelt, sondern um den neuen Volunteer versuche ich eine Art motivierend Rede zu halten. Ich erkläre den Schülern, dass auch mir vor gut einem Jahr große Prüfungen bevorstanden und dass Konzentration und Strebsamkeit, sowie Fleiß und Ehrgeiz die Schlüssel zu einem guten Abschluss sind. Gut, dass die Schüler weder meinen Schnitt kennen, noch wissen, wie ich im letzten Jahr die „Lernzeit“ verbracht habe… meine Glaubwürdigkeit würde auf ein Minimum zurückfallen. Im Anschluss an mein Geschwafel fahren verschiedene Lehrer fort die Lehrpläne zu erklären und Schwerpunkte anzugeben, bevor mit einem Gebet geschlossen wird und sich jeder auf sein jeweiliges Klassenzimmer verteilt.

Für mich war die Situation gleichzeitig bizarr wie auch ein bisschen unangenehm und das vor allem aus zwei Gründen:

  1. Die meisten der dort zum Appell aufgelaufenen Schüler waren nur unmittelbar jünger als ich, einige etwa gleich alt und manche hatten das 18. Lebensjahr bereits länger volleendet.
  2. Die St. Joseph Secondary School ist nicht mein eigentlicher Arbeitsplatz, weshalb die Vorstellung meiner Person als neues Mitglied des Lehrkörpers eher ein kosmetisches Extra der morgendlichen Versammlung war, als eine wirklich entscheidende Neuigkeit die für die Zukunft der Schüler essentiell ist.

Die für mich vorgesehene Wirkungsstelle lernte ich nur unmittelbar später kennen. Als ich das Klassenzimmer der Upendo Unit betrat sah ich erstmal rot. Natürlich bekam ich keinen Wutanfall, aber ein geballtes „Hello visitor and welcome to our class“ von den etwa 20, hinter kleinen Schulbänken stehenden Kindern wie als Chor zur Begrüßung aufgetischt. Nachdem die von mir nur kurz abgelenkten Kinder die Arbeit an ihren Aufgaben weiterführten werde ich von Javier der Lehrerin vorgestellt. Sie übernimmt die schwierige Aufgabe die Kinder, die sich untereinander nicht nur durch ihr Alter, sondern damit auch in ihrem Wissenstand unterscheiden, in dieser Vorbereitungsklasse innerhalb von einem Jahr auf den Schulalltag in der jeweil entsprechenden Klassenstufe vorzubereiten. Ein 10 jähriger Schüler muss dementsprechend in weniger als 12 Monaten den Lernstoff für insgesammt 4 Klassen nacharbeiten um anschließend in die 5. Klasse kommen zu können. Mein Aufgabengebiet wird sich deshalb vorallem in der Upendo Unit, also besagter Vorbereitungsklasse befinden und das Ziel meiner Arbeit sollte die Entlastung der Lehrerin sein. Ich werde die Kinder in ihren Pausenaktivitäten begleiten, spielen und vielleicht kriege ich ja auch noch ein Lied oder Gedicht in die kleinen Köpfe. Während der Unterrichtszeiten werde ich dann der Lehrerin das Feld überlassen und bei Bedarf ein bisschen Nachhilfe in Englisch oder Mathematik geben. Alles in allem erwartet mich also doch schon eine größere Aufgabe hier.

Im weiteren Verlauf der Woche habe ich dann besagte Baustellen in Angriff genommen und mit der Überwindung der ersten Hürde begonnen: Namen merken. Was by the way gar nicht so einfach ist, sieht man mal davon ab, dass mir in meinen Anfangstagen mit einer gewissen Skepsis begegnet wurde, die sich erst nach und nach im Laufe der Woche ein bisschen legte. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass ich den Kindern immer mit Englisch komme, vergleichbar vielleicht einen Bayern auf tiefstem Sächsisch anzusprechen. Auf das in den Augen der Kinder mehr für die Schule bestimmte Englisch reagieren die Schüler mit knappen Antworten, manchmal einfach um zu vermeiden, dass ich weiterspreche und -frage :D. Immerhin: Mit dem Wort „football“ kann ich zumindest bei den Jungs mittlerweile Begeisterung auslösen.

Ein abschließendes Highlight der Woche war der Ausflug des Chores zum Heimatdorf eines der Mitglieder am Freitag. In den frühen Morgenstunden machten wir uns auf den Weg nach Kinangop, einem Dorf hinter der Stadt Naivasha, ein Teil der Strecke war mir also noch von meiner Reise eine Woche vorher bekannt. In Kinangop angekommen wurde eine Dankesmesse gehalten, Hintergrund hierfür war die Genesung des gastgebenden Chormitgliedes von einer schwerwiegenden Krankheit. In einem größeren Zelt, dass dummerweise mitten über einem riesigen Ameisenhügel gebaut war (und ich rede hier nicht von den kleinen harmlosen Ameisen, sondern von sogenannten Safari Ants, die bei Kontakt mit menschlicher Haut gerne auch mal einen Geschmackstest machen wollen) wurde mit Blick auf Mais- und Teeplantagen ein wirklich beeindruckender und emotionaler Gottesdienst gefeiert. Überschwenglich eingeladen versuchten wir beim anschließenden Lunch den uns gereichten Berg an Essen, bestehend aus Reis, Eintopf, Rindfleisch, Chapattis und Irio, dem Stammesgericht der Kikuyu, bestehend aus Mais, Bohnen und Kartoffeln, die zu einem Brei gestampft werden, zu vernichten. Und nach einem kleinen Rundgang durch die Umgebung in Kinangop ging es am späten Nachmittag auch die üblichen 2 1/2 Stunden zurück nach Nairobi.

Eigentlich war es das dann auch schon wieder für die Woc.. ach ja da gab es ja noch was: Bei uns wurde eingebrochen. Und das ganze mit unserer Erlaubnis, ja sagen wir sogar auf unsere Nachfrage hin. „Das ist doch unmöglich“, entfährt es Javier als sich der junge Mann vor unseren Augen durch das Gitter vor dem Fenster des Aufenthaltsraumes zwängt. Für einen Moment sieht es so aus, als wäre er stecken geblieben, dann schiebt er sich die letzten Zentimeter durch den eigentlich so sicheren Einbruchschutz, grinst uns von der anderen Seite des Fensters aus an und fragt nach der Brechstange. Die Situation ist mehr als Delikat, ein Nachbar in Deutschland hätte bei sowas wohl sofort die Polizei verständigt. Die Ausgangsbedingungen sind folgende: Als Javier und ich um etwa 10 Uhr abends von dem Kinangop-Ausflug zurückkommen hat die Tür beschlossen uns noch für eine weitere Stunde wach zuhalten: Das Schloss streikt und dummerweise wurde auch noch von innen zugeschlossen, sodass auch die Anwendung roher Gewalt als unmöglich eingestuft wurde. Nachdem sich Schmieröl und ein Hammer als nutzlos erwiesen haben, bleibt eine letzte Möglichkeit: Ein offenes Fenster. Mit dazugerufener Verstärkung in Form von Bekannten aus dem Chor finden wir unsere Eintrittskarte in die Unterkunft… das Fenster des Aufenthaltsraumes. Durch dieses zwängt sich also besagter Klettermax ins Innere und greift, selbst mit seinem Latein am Ende kurzerhand zur Brechstange und hebelt nicht das Schloss auf, sondern den Halterungsbolzen von der Tür ab. Der Effekt war Gott seid Dank der selbe, sodass Javier und ich nach etwa 1 1/2 Stunden des Mühens und Versuchens dann doch noch in unser Bett gegangen sind. Gelernt haben wir vier Dinge:

  1. Die Türschlösser hier sind eigentlich durch nichts klein zu kriegen, auch nicht durch Hammer und Brecheisen
  2. Abschließen sollte man, das Schloss davor aber mal ölen muss man
  3. Unser Haus ist keinesfalls einbruchsicher, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht
  4. Angst müssen wir deshalb aber keine haben, besteht ja scheinbar auch ein Teil unseres hiesigen Freundeskreises aus Hausfriedensbruch störenden Fachmännern, wir wissen also im Ernstfall um wen es sich handelt

Dazu gesagt werden muss natürlich, dass wir unglaublich froh waren um kurz vor Mitternacht endlich in unsere Wohnung zu kommen und jede Hilfe dem Himmel dankend angenommen haben.

Und das war es auch schon wieder mit dieser Ausgabe, jetzt aber wirklich! 😀 In der nächsten Folge werde ich von kleinen Wichteln gejagt und von einer Schlange gefressen.

Bis dann… Benedikt

 

 

Autor: Benedikt in Kangemi

Ich mache im Zeitraum vom Sommer 2018 bis Sommer 2019 einen Volunteereinsatz in Kangemi

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